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Charlottenburger Straße 1

Charlottenburger Straße 1

Pankow
Das unweit des großen jüdischen Friedhofs in Weißensee gelegene dreistöckige Mietshaus hatte etwa zwölf Wohnungen. Zwei von ihnen wurden als Zwangswohnungen genutzt. Eine weitere Wohnung bewohnte schon vor 1939 eine jüdische Familie. Insgesamt lebten hier 14 jüdische Menschen. Zehn von ihnen wurden ermordet.

Das Haus wurde noch 1934 von dem jüdischen Konfektionär für gehobene Knabenbekleidung Gustav Nathan von der Stadt Berlin gekauft. Er verließ mit seiner Frau Cläre Anfang 1935 Deutschland. Seinen Betrieb übergab er einem seiner Brüder und seinem ehemaligen Prokuristen bis zur Geschäftsliquidation Anfang 1937.

Die Verwaltung seiner beiden Häuser, darunter der Charlottenburger Straße 1, überließ er Paula Birnstiel, seiner langjährigen nichtjüdischen Mitarbeiterin. Anfang 1938 flüchtete sie selbst vor den Verhören der Gestapo, zuletzt der Drohung mit KZ-Einweisung, ins Ausland.

Mit dem Haus wollte Nathan, wie er Anfang der 1950er Jahre in einer Erklärung für seinen Entschädigungsantrag schrieb, ursprünglich seinen Lebensabend absichern. Im Erdgeschoss des Hauses gab es eine Nebenstelle der Reichsbank und bis etwa 1940/41 die Praxis des vermutlich nichtjüdischen Hautarztes Dr. Birnbaum.

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Nachbarschaft

In der Charlottenburger Straße 1 lebten überwiegend nichtjüdische Mieter:innen. Wie sich ihr Kontakt zu ihren Nachbar:innen gestaltete, ist nicht bekannt. Dokumentiert ist jedoch eine Begebenheit: Als der Gerichtsvollzieher nach der Deportation der Jakubowskis in ihre Wohnung kam, um den Wert des zurückgelassenen Eigentums zu schätzen stellte er fest, dass die Wohnung nur verschlossen und nicht wie gewohnt versiegelt war. Die Hauswartsfrau hatte ihm offenbar erzählt, dass die „Ausgebürgerten [sic] sehr wertvolle Garderobe, gute Wäsche und Teppiche hinterlassen“ hätten. Daraufhin befragte er die ehemalige jüdische Untermieterin Frau Keil erklärte, dass die „jüdische Hilfe“, vielleicht eine Haushaltshilfe der Jüdischen Gemeinde, die die Jakubowskis unterstützte, die Sachen abgeholt hätte. Der Gerichtsvollzieher vermutete, dass die namentlich nicht genannte „jüdische Hilfe“ die Sachen nun verwerte. Was im Einzelnen passiert war, lässt sich an Hand der knappen Darstellung des Gerichtsvollziehers unter der Inventarliste nicht nachvollziehen. Deutlich wird aber das Interesse der nichtjüdischen Hauswartin und des Gerichtsvollziehers an leicht fortzuschaffenden Waren guter Qualität und der Versuch, das Verschwinden des Begehrten einer namenlosen jüdischen Person, der „jüdischen Hilfe“, in die Schuhe zu schieben.

In Gedenken an die jüdischen Bewohner:innen der Charlottenburger Straße 1

Bertha Jakubowski, geb. Gutstadt

24.1.1872 in Stettin (Szczecin)
Deportation am 4.10.1942 ins Ghetto Theresienstadt, umgekommen im März 1944

Johanna Jakubowski, geb. Marcus

24.2.1902 in Berlin
Deportation am 29.11.1942 nach Auschwitz, ermordet unmittelbar nach der Ankunft

Klaus Jakubowski

24.6.1929 in Berlin
Deportation am 29.11.1942 nach Auschwitz, ermordet unmittelbar nach der Ankunft

Kurt Jakubowski

10.7.1905 in Berlin
Deportation am 29.11.1942 nach Auschwitz, ermordet am 2.1.1943

Horst Heinz Keil

11.7.1926 in Berlin
Deportation am 17.5.1943 ins Ghetto Theresienstadt, weiter am 28.9.1944 nach Auschwitz, Deportation in das KZ Landsberg, am 10.10.1944 in das KZ-Außenlager Kaufering
Überlebte, Emigration im Juni 1946 über das DP-Camp Deggendorf und das UNRRA Center Bremen in die USA, verstorben 2020 in den USA

Johanna oder Hanna Keil, geb. Herpe

22.11.1901 in Berlin
Deportation am 17.05.1943 ins Ghetto Theresienstadt, weiter am 4.10.1944 nach Auschwitz, ermordet

Manfred Keil

15.2.1930 in Berlin
Deportation am 17.5.1943 ins Ghetto Theresienstadt, weiter am 4.10.1944 nach Auschwitz, ermordet

Reinhard Keil

25.10.1901 in Finsterwalde
Deportation am 17.5.1943 ins Ghetto Theresienstadt, weiter am 29.9.1944 nach Auschwitz, am 10.10.1944 in das KZ Dachau, befreit am 29.4.1945 im KZ Außenlager Kaufering, kurz darauf verstorben

Hans Rosenthal

3.5.1894 in Berlin
Deportation am 3.3.1943 nach Auschwitz, ermordet

Salomon Veisz bzw. Weiß

28.9.1879 in Vármezö
Deportation am 28.3.1942 ins Ghetto Piaski, ermordet

Frieda Veisz bzw. Weiß, geb. Witt

6.6.1878 in Berlin
Deportation am 28.3.1942 ins Ghetto Piaski, ermordet

Emelie Zutrauen, geb. Kochmann

11.8.1884 in Breslau (Wrocław)
Flucht am 27.3.1941 in die USA
Überlebte, verstorben am 14.1.1958

Hans Alfred Zutrauen

29.01.1910 in Berlin
Flucht 1937 in die USA
Überlebte, verstorben am 14.10.1982 in den USA

Rudolf Zutrauen

27.6.1908 in Berlin
Flucht am 27.3.1941 in die USA, gestorben am 4.2.1945 als US-amerikanischer Soldat in Luzon, Philippinen

Zwangsräume

Antisemitische Wohnungspolitik in Berlin 1939–1945

Online-Ausstellung ab

16.10.2023