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Schlüterstraße 54

Schlüterstraße 54

Charlottenburg-Wilmersdorf
Das vornehme Haus lag im großbürgerlichen Teil Charlottenburgs. Mindestens drei Wohnungen wurden zwischen 1939 und 1945 als Zwangswohnungen genutzt, darunter auch eine Pension. Mindestens 36 jüdische Bewohner:innen wurden von hier aus deportiert. In dem Haus wohnten auch viele nichtjüdische Berliner:innen. Überliefert ist deshalb auch eine der seltenen Beschreibungen einer nichtjüdischen Nachbarin, wie die Verhaftungen zur Deportation abliefen.

Das Haus mit zwölf Mietparteien gehörte der als jüdisch geltenden Grete Bilgrey, geb. Swaap, die zu einem unbekannten Zeitpunkt vor 1939 in die Niederlande auswanderte.

Besonders viele jüdische Menschen lebten in der Pension Phiebig. Sie umfasste zwei Etagen, in denen nach 1939 Juden:Jüdinnen auch zwangsweise untergebracht waren.

Bis etwa 1940 gab es eine weitere jüdische Pension im Haus, das Familienheim Schlesinger. Nach ihrer Schließung mussten die meisten Bewohner:innen in andere Häuser umziehen. Für sie war die Schlüterstraße 54 die letzte selbstgewählte Adresse. Daher liegen vor dem Haus 20 Stolpersteine, fast alle für ehemalige Bewohner:innen des Familienheims Schlesinger.

Wohnungen

Vorderhaus, 1. und 4. Obergeschoss

1.OG
Pension Phiebig

Die Pension Phiebig wurde von Rosa Phiebig geführt. Im ersten Obergeschoss befanden sich acht und im vierten zehn Zimmer. Gertrud Abramczyk arbeitete als Mitarbeiterin in der Pension und bewohnte mit ihrem Mann Wilhelm zwei Zimmer im vierten Stock.

Das Ehepaar Gertrud und Wilhelm Abramczyk, Aufnahmedatum unbekannt, Foto: A. Wertheim, Rosenthalerstraße, Berlin. Quelle: Regionaal Archief Zuid-Utrecht, Wijk bij Duurstede. Archief Werner Abernau

Nach 1939 wurden auch die Zimmer der Pension für Einweisungen jüdischer Mieter:innen benutzt. Die langjährige Bewohnerin Gertrud Friedländer schrieb am 18. November 1941 an ihren Neffen:

„Unsere Zimmer [wurden] wieder einmal besichtigt [von Mitarbeiter:innen der Wohnungsberatungsstelle der Jüdischen Gemeinde Berlin] u. diesmal werden wir wohl Mitbewohner bekommen; das nimmt man heute nicht mehr so ungern in Kauf, wenn wir nur nicht fort müssen.“
Zitat aus: Brief Gertrud Friedländer, 18. November 1941, BHLA, Rep. 36A (II) Nr. 10314

Die Tochter von Rosa Phiebig, Susan Phillips, wanderte 1939 nach England aus und berichtete später, dass ihre Mutter insgesamt 15 Zimmer an meist wohlhabende jüdische Pensionäre vermietet habe. Als sie Deutschland verließ, wohnten rund 18 Menschen in der Pension. Zwischen 1942 und 1943 wurden 27 Menschen aus der Pension deportiert. Nur sechs von ihnen waren unter 60 Jahren, die meisten älter.

Vorderhaus, 3. Obergeschoss

3.OG
Wohnung Levi

Im dritten Obergeschoss mietete der urologische Chirurg Siegfried Levi am 16. April 1940 eine gut ausgestattete 5-Zimmer-Wohnung. Im Mietvertrag ist neben seiner Frau auch eine OP-Schwester als Bewohnerin genannt. Siegfried Levi nutzte die Räume der Wohnung auch als Praxis.

Wohnung Sachs

Eine andere Wohnung im dritten Obergeschoss wurde nach 1939 von Hans und Hedwig Sachs gemietet. Wann genau dies geschah und wie groß die Wohnung war, lässt sich nicht mehr herausfinden. 1939 wohnte das Ehepaar in Oranienburg. Ab Mai 1940 hatten sie eine Untermieterin: Johanna Isenthal hatte zuvor in der Windscheidstraße 34 gelebt und bewohnte beim Ehepaar Sachs ein halbes Zimmer.

Unbekannte Wohnungslage

Es gibt acht Personen, die aus der Schlüterstraße deportiert wurden, die keiner Wohnung zugeordnet werden können, da sie meist zur Untermiete wohnten.

Dr. Alexander und Else Cohn

Das Ehepaar Dr. Alexander und Else Cohn musste 1942 von der Schillerstraße 9 in Charlottenburg in die Schlüterstraße 54 umziehen. Hier mietete das Paar ein Leerzimmer. Ihr Umzug hing mit einer Räumungsaktion des Generalbauinspektors für die Reichshauptstadt (GBI), Albert Speer, zusammen.

Im Entschädigungsverfahren von Alexander Cohn schrieb sein Anwalt später: „Wie er [Alexander Cohn] erklärt hat, habe er in Berlin-Charlottenburg, Schillerstr. 9, eine 4 ½-Zimmer-Wohnung bewohnt, die er auf Grund der sogenannten ‚Speerkündigung‘ mit wenigen Tagen Frist im Mai 1942 habe räumen müssen.“

Zitat aus: Entschädigungsantrag Dr. Alexander Cohn, 4. März 1969, LABO Berlin, BEG-Akte, Reg.-Nr. 6 770, S. 3

Lebenslauf des Juristen Dr. Alexander Cohn aus dem sogenannten Prominentenalbum der Jüdischen Selbstverwaltung im Ghetto Theresienstadt, undatiert. Quelle: SHMH-Altonaer Museum, Inv.-Nr. 2021-0202,67-7

Else und Alexander Cohn wurden am 28. Januar 1943 ins Ghetto Theresienstadt deportiert. Beide überlebten.

Käte Binner, gesch. Klein, mit ihren Töchtern Ruth Klein und Juliane Binner

Käte Binner zog vermutlich nach der Inhaftierung ihres Ex-Mannes Martin Klein am 1. Januar 1938 in die Schlüterstraße. Sie galt als „jüdischer Mischling 1. Grades“ und ließ sich zum Schein von ihrem jüdischen Ehemann Martin Klein scheiden. Sie hoffte, sich und vor allem ihre Töchter so vor der Verfolgung der Nationalsozialisten schützen zu können. Die beiden wohnten auch nach der Scheidung gemeinsam in einer Wohnung am Kurfürstendamm 217. Käte Binner wurde gemeinsam mit ihren Kindern am 29. Januar 1943 deportiert. Bei der Deportation war Ruth Klein 13 Jahre und Juliane Binner acht Jahre alt. Alle drei wurden in Auschwitz ermordet.

Nachbarschaft

Neben den jüdischen Bewohner:innen lebten auch viele nichtjüdische Personen in der Schlüterstraße 54. Ab Ende 1942 nahmen die Deportationen aus dem Haus stark zu. Am 28. und 29. Januar 1943 wurden elf Personen auf einmal deportiert. An dieses Ereignis erinnerte sich die nichtjüdische Nachbarin Frieda Reimer:

„Das genaue Jahr kann ich nicht mehr angeben, aber ich vermute, daß es schon vor 1943 war. Ich kann mich an diesen Vorgang noch deswegen erinnern, weil ich ihn selbst erlebt habe. Ich kam an dem Abend von der Arbeit nach Hause und bemerkte bei Betreten des Hausflurs, daß sämtliche jüdische Hausbewohner, die mir zum Teil bekannt waren, im Hausflur warteten. Die meisten hatten kleines Handgepäck dabei. Sie waren bewacht; vermutlich von SS und warteten auf ihren Abtransport. Der Hauswart, ein gewisser Herr Burgau, machte mir Zeichen, daß ich weitergehen solle, als ich versuchte, mit den Kindern zu sprechen, die ebenfalls weggeschafft werden sollten.“

Zitat aus: Aussage Frieda Reimer, 24. Juli 1959, LABO Berlin, BEG-Akte Rosa Phiebig, Reg.-Nr. 276 150

Juliane Binner und Ruth Klein waren die einzigen Kinder, die aus dem Haus deportiert wurden. Ihr Deportationsdatum war (anders als in der Erinnerung der Nachbarin) der 29. Januar 1943.

Autorin

Johanna A. Kühne

In Gedenken an die jüdischen Bewohner:innen der Schlüterstraße 54

Gertrud Abramczyk, geb. Arnheim

22.10.1877 in Berlin
Deportation am 3.10.1942 ins Ghetto Theresienstadt, umgekommen am 30.10.1942

Wilhelm Abramczyk

9.7.1864 in Potsdam
Deportation am 3.10.1942 ins Ghetto Theresienstadt, umgekommen am 19.12.1942

Fritz Behrens

31.3.1872 in Berlin
Deportation am 30.7.1942 ins Ghetto Theresienstadt, umgekommen am 28.11.1942

Margarete Behrens, geb. Maass

9.11.1878 in Berlin
Deportation am 30.7.1942 ins Ghetto Theresienstadt, dort umgekommen

Hedwig Bernhard

23.7.1888 in Berlin
Suizid in Berlin am 26.2.1943

Elsbeth Bernstein, geb. Mollheim

5.9.1883 in Köthen
Flucht am 16.10.1942 nach Ecuador
Überlebte

Julius Bernstein

19.10.1879 in Wilczowo
Flucht am 16.10.1942 nach Ecuador
Überlebte

Juliane Binner

20.4.1934 in Berlin
Deportation am 29.1.1943 nach Auschwitz, ermordet

Käte Binner, gesch. Klein

23.2.1903 in Berlin
Deportation am 29.1.1943 nach Auschwitz, ermordet

Ester Blank, geb. Samter

26.6.1873 in Berlin
Deportation am 12.6.1942 ins Ghetto Theresienstadt, umgekommen am 23.1.1943

Bianca Brasch, geb. Lazarus

25.10.1877 in Zempelburg (Sępólno)
Deportation am 29.1.1943 nach Auschwitz, ermordet im März 1943

Artur Brock

28.1.1874 in Berlin
Flucht am 1.10.1940 in die USA
Überlebte

Else Brock, geb. Hirsch

29.1.1880 in Berlin
Flucht am 1.10.1940 in die USA
Überlebte

Clara Bry, geb. Rosendorff

31.1.1887 in Usch (Ujście)
Deportation am 19.1.1942 ins Ghetto Riga, umgekommen am 5.2.1942

Leo Bry

20.1.1881 in Schrimm (Śrem)
Deportation am 19.1.1942 ins Ghetto Riga, umgekommen am 5.2.1942

Dr. Alexander Cohn

4.9.1876 in Königsberg
Deportation am 28.1.1943 ins Ghetto Theresienstadt
Überlebte, verstorben am 7.4.1951 in Berlin

Else Cohn, geb. Hiller

22.1.1885 in Königsberg
Deportation am 28.1.1943 ins Ghetto Theresienstadt
Überlebte

Frieda Cohn, geb. Müller

4.6.1878 in Berlin
Deportation am 28.1.1943 ins Ghetto Theresienstadt, umgekommen am 16.6.1943

Samuel Cohn

1.4.1874 in Wünnenberg
Deportation am 28.1.1943 ins Ghetto Theresienstadt, umgekommen am 16.8.1943

Dagobert David Dannenbaum

4.2.1875 in Rimbeck
Deportation am 30.7.1942 ins Ghetto Theresienstadt, weiter am 26.9.1942 ins Vernichtungslager Treblinka, ermordet

Mathilde Dannenbaum, geb. Walter

20.11.1888 in Schlüchtern
Deportation am 30.7.1942 ins Ghetto Theresienstadt, weiter am 26.9.1942 ins Vernichtungslager Treblinka, ermordet

Walter Dannenbaum

10.9.1919 in Rimbeck
Deportation am 28.3.1942 ins Ghetto Piaski, dort umgekommen

Ida Elsbach, geb. Rosenberg

15.2.1871 in Hannover
Deportation am 17.8.1942 ins Ghetto Theresienstadt, umgekommen am 29.8.1942

Gertrud Friedlaender, geb. Goldberger

30.4.1875 in Breslau (Wrocław)
Deportation am 2.4.1942 ins Ghetto Warschau, dort umgekommen

Emma Geiger, geb. Silberberg

2.3.1867 in Saarlautern
Flucht am 23.7.1941 in die USA
Überlebte

Salomo Samuel Goldstein

16.12.1866 Klein Silkow
Flucht am 15.3.1940 nach Norwegen, Inhaftierung am 26.11.1942, Rückführung nach Berlin, Deportation am 29.11.1942 nach Auschwitz, ermordet am 1.12.1942

Adolf Grünthal

5.12.1859 in Pless (Pszczyna)
Verstorben am 7.8.1941 in Berlin

Hermann Guttmann

3.6.1868 in Radostowitz (Radostowice)
Verstorben am 4.1.1943 in Berlin

Ernst Elieser Moses Heimann

25.12.1927 in Berlin
Deportation am 3.2.1943 nach Auschwitz, ermordet am 22.2.1943

Hans Heimann

31.3.1894 in Berlin
Inhaftierung am 26.11.1938 im KZ Sachsenhausen, Deportation am 3.2.1943 nach Auschwitz, ermordet

Johanna Isenthal

18.12.1889 in Halle/Saale
Deportation am 26.2.1943 nach Auschwitz, ermordet

Gertrud Jacoby, geb. Hirschfeld

13.2.1860 in Kulm (Chełmno)
Auf der Residentenliste und in der Volkszählung zu finden, weiterer Verbleib unklar

Gertrud Katzenstein, geb. Michalsky

20.8.1866 in Graudenz (Grudziądz)
Deportation am 17.8.1942 ins Ghetto Theresienstadt, umgekommen am 2.9.1942

Ruth Klein

31.7.1929 in Berlin
Deportation am 29.1.1943 nach Auschwitz, ermordet

Charlotte Levi, geb. Israel

25.7.1884 in Berlin
Deportation am 16.12.1942 ins Ghetto Theresienstadt, weiter am 9.10.1944 nach Auschwitz, ermordet

Dr. Siegfried Levi

2.3.1877 in Berlin
Deportation am 16.12.1942 ins Ghetto Theresienstadt, umgekommen am 21.2.1944

Olga Liepmann, geb. Mendelsohn

22.12.1863 in Hamburg
Flucht am 27.8.1939 nach Großbritannien
Überlebte

Marie Lion, geb. Stern

8.8.1865 in Berlin
Deportation am 3.10.1942 ins Ghetto Theresienstadt, umgekommen am 27.2.1943

Betty Marcus, geb. Cohn

3.10.1874 in Berlin
Deportation am 16.05.1944 nach Auschwitz, ermordet

Liselotte Meier, geb. Schlesinger

24.9.1909 in Berlin
Flucht 1938 in die USA
Überlebte

Elsbeth Ernestine Meyer, geb. Behrendt

10.6.1879 in Berlin
In der Volkszählung und Residentenliste zu finden, weiterer Verbleib unklar

Georg Meyer

22.1.1859 in Berlin
In der Volkszählung und Residentenliste zu finden, weiterer Verbleib unklar

Else Moser, geb. Pacully

13.4.1876 in Stettin
Deportation am 2.4.1942 ins Ghetto Warschau, dort umgekommen

Rosa Phiebig, geb. Grunwald

12.12.1881 in Stolzenhagen
Deportation am 29.1.1943 nach Auschwitz, ermordet

Otto Rathe

4.5.1875 in Berlin
Suizid am 1.4.1942 in Berlin

Paul Rathe

6.2.1873 in Berlin
Suizid am 1.4.1942 in Berlin

Margarethe Reichenberger, geb. Lesser

14.1.1876 in Berlin
Verstorben am 1.4.1942 in Berlin

Frieda Robert

10.8.1888 in Graudenz (Grudziadz)
Deportation am 24.9.-26.9.1942 nach Raasiku, ermordet

Fanny Rosenbaum, geb. Hant

11.11.1870 in Witten
Flucht am 23.7.1941 in die USA
Überlebte

Alfred Sachs

30.5.1871 in Leipzig
Deportation am 12.6.1942 ins Ghetto Theresienstadt, umgekommen am 1.3.1943

Flora Sachs, geb. Gradenwitz

6.2.1879 in Breslau (Wrocław)
Deportation am 12.6.1942 ins Ghetto Theresienstadt, umgekommen am 14.3.1944

Hans Simon Sachs

18.11.1883 in Berlin
Deportation am 29.1.1943 nach Auschwitz, ermordet

Hedwig Sachs, geb. Berju

3.5.1889 in Hamburg
Deportation am 29.1.1943 nach Auschwitz, ermordet

Gertrud Sackur, geb. Ambramczyk

22.3.1869 in Breslau (Wrocław)
Flucht am 11.11.1939 nach Argentinien
Überlebte

Adolf Selowsky

12.11.1868 in Grünberg
Deportation am 28.8.1942 ins Ghetto Theresienstadt, weiter am 29.9.1942 ins Vernichtungslager Treblinka, ermordet

Margarete Selowsky, geb. Friedländer

8.6.1878 in Breslau (Wrocław)
Deportation am 28.8.1942 ins Ghetto Theresienstadt, weiter am 29.9.1942 ins Vernichtungslager Treblinka, ermordet

Käthe Törkott, geb. Bremer

17.2.1898 in Berlin
Deportation am 14.12.1942 nach Auschwitz, ermordet am 3.1.1943

Carl Weigert

12.8.1860 in Breslau (Wrocław)
Verstorben am 21.3.1942 in Berlin

Ende des Jahres 1942, Anfang des Jahres 1943 wurden Zwangswohnungen zunehmend geräumt und Deportationen verstärkt.

Zum Kontext

Zwangsräume

Antisemitische Wohnungspolitik in Berlin 1939–1945

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