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Mommsenstraße 42

Mommsenstraße 42

Charlottenburg-Wilmersdorf
Die Mommsenstraße liegt im gutbürgerlichen Teil von Charlottenburg. In der Straße gab es sechs Häuser, die nachweislich als Zwangshäuser dienten. Das Mietshaus Mommsenstraße 42/Ecke Waitzstraße 28 hatte 14 Wohnungen. Vier von ihnen wurden als Zwangswohnungen genutzt. 23 der 37 jüdischen Bewohner:innen wurden von dieser Adresse deportiert und ermordet.

Vor 1939 lebten bereits 18 jüdische Mieter:innen im Haus. 19 jüdische Menschen mussten später in das Haus einziehen.

Der Besitzer der Mommsenstraße 42, Felix Stockvis, lebte im niederländischen Den Haag. Nach seinem Tod im Oktober 1938 erbten seine Kinder Alice und Louis Gustaaf das Mietshaus. Die Familie Stockvis waren Niederländer:innen. Wahrscheinlich galten sie den Nazis als jüdisch. Das legt die Einquartierung jüdischer Mieter:innen im Haus nahe.

Das Schicksal der Familie Stockvis ist unbekannt. Da sich Alice und Louis Gustaaf auf keiner Deportationsliste finden lassen, ist davon auszugehen, dass sie die Zeit des Nationalsozialismus überlebten.

Wohnungen

Vorderhaus I

VH I
Wohnung Kochmann

Philipp und Hedwig Kochmann, geb. Fromm, zogen schon vor 1939 in die 3-Zimmer-Wohnung. In ihrer Vermögenserklärung von 1943 gab Hedwig Kochmann vier Untermieterinnen an: Dora Fromm, Mirel Liebe, Herta und Ellen Ruth Bachenheimer. Dora Fromm war vermutlich mit Hedwig Kochmann verwandt, denn sie zahlte keine Miete. Möglicherweise zog sie nach dem Tod von Philipp Kochmann im Oktober 1942 zu ihr. Über Mirel Liebe ist nichts bekannt. Dass sie erst am 1. April 1944 deportiert wurde, lässt vermuten, dass sie eine Weile untergetaucht in Berlin lebte.

Herta und Ellen Ruth Bachenheimer zogen im Dezember 1941 ein. Mutter und Tochter teilten sich ein Zimmer. Ihre vorherige Wohnung in der Droysenstraße 11 wurde nach ihrem Auszug vom Generalbauinspektor beschlagnahmt –  vermutlich, um sie an nichtjüdische Mieter:innen zu vergeben. Im April 1943 musste Hertha Bachenheimer noch 395,40 Reichsmark für die Renovierung der Wohnung zahlen.

Wohnung Pindikowski

Die Schwestern Anna und Helene Pindikowski lebten schon länger in der Wohnung. Im Dezember 1939 zog Käthe Becker zur Untermiete ein. Leo und Selma Anker lebten ebenfalls in einem der Zimmer. Anna Pindikowski verstarb im November 1941. Die übrigen Bewohner:innen der Wohnung wurden Anfang des Jahres 1943 deportiert und ermordet.

Vorderhaus II

VH II
Wohnung David

Über die Familie David und ihr Leben in der Zwangswohnung ist viel bekannt. Ihre Tochter Inge Borck, geb. David, konnte sich vor ihrer Deportation verstecken und überlebte in Berlin. Sie gab später ausführliche Interviews zu ihrem Leben. Inge Borck zog 1941 mit ihren Eltern Martin und Paula David in die Wohnung mit vier Zimmern und einer Kammer. Die Eltern bezogen ein Zimmer und Inge bekam die Kammer. Sie war zu dem Zeitpunkt 19 Jahre alt.

„[Uns] wurde diese Wohnung [die letzte freigewählte Wohnung in der Sybelstraße] weggenommen. Das heißt, wir sind da ausgewiesen worden und mussten in ein sogenanntes Judenhaus ziehen, in die Mommsenstraße Nummer 42, das ist Ecke Waitzstraße, eine Altbauwohnung [...] Ich hab sogar ein halbes Zimmer bekommen, was ein absoluter Luxus war. Ich hab die Kammer […] mit einem Bett bekommen, absoluter Luxus. Wir hatten natürlich alle zusammen eine Küche.“
Inge Borck, zitiert aus: Visual History Archive, USC Shoah Foundation, Interview Code: 31408, Mai 1997

Familie David waren die Hauptmieter:innen der Wohnung, die sie mit weiteren jüdischen Untermieter:innen teilten. Dies waren Philipp und Erna Gellert mit Tochter Irmgard und Adolf Kuznitzky. Inge Borck berichtete später von vier Familien in der Wohnung. Aus den Akten lässt sich dies aber nicht bestätigen. Die Untermieter:innen wurden nach und nach deportiert. Nur die Familie David blieb zurück. Da sie wussten, dass es auch sie treffen würde, versuchten sie, sich zu verstecken. Die Eltern David hielten sich tagsüber draußen im Wald auf und gingen erst nachts in ihre schon versiegelte Wohnung zurück. Inge Borck schlief bei unterschiedlichen Menschen, vor allem in einer Pension in Charlottenburg, in der die Betreiberin jüdische Menschen versteckte.

„Eines Tages geht das Telefon. Es ist meine Mutter, die sagt: ‚Bleib wo du bist, komm nicht her! Sie sind da!‘ Es waren die letzten Worte, die ich von meiner Mutter gehört habe.“
Inge Borck: Ich war nie weg, in: Ulrich Eckehardt/Andreas Nachama, Andreas (Hg.): Jüdische Berliner. Leben nach der Schoa, Berlin 2003, S. welche Seite?
Wohnung Vandewart

Das Ehepaar Vandewart zog am 1. Juli 1936 in die 4,5-Zimmer-Wohnung. In ihrer Vermögenserklärung gaben sie sechs Untermieter:innen an. Vermutlich teilten sich das Ehepaar Vandewart mit den Ehepaaren Philipps und Schuster je ein Zimmer. Das vierte Zimmer war an Ernestine Daniel vermietet. In der Kammer lebte Johanna Schneider. Über sie gibt es keine weiteren Informationen, da sie nur in der Vermögenserklärung der Vandewarts auftaucht. Alle anderen Bewohner:innen der Wohnung wurden deportiert, keine:r von ihnen überlebte.

Monate nach der Deportation der Familie Vandewart forderte der Hausverwalter Geld aus ihrem beschlagnahmten Vermögen, um die Wohnung zu renovieren.

„Nach dem Mietvertrage waren die Schönheitsreparaturen von den Mietern Vandewart, welche die Wohnung sehr abgenutzt haben, zu tragen. […] Bis zur Begleichung der Kosten durch den Mieter Vandewart mache ich an den noch in der Wohnung befindlichen und eingebrachten Gegenstände das Vermieter-Pfandrecht geltend.“

Unbekannte Wohnungslage

Wohnung Goldstein

Die Wohnung der Familie Goldstein war keine Zwangswohnung. Frieda und Dr. Rudolf Goldstein lebten schon vor 1939 in dem Haus. In ihrer Wohnung gab es keine Untermieter:innen. Das Ehepaar und seine Kinder Klaus und Lisa Goldstein galten als „Mischlinge 1. Grades“. Die Eltern hatten beide einen Vater, der als jüdisch galt, und eine nichtjüdische Mutter. Rudolf Goldstein war evangelisch getauft und arbeitete seit 1925 als Anwalt und Notar. Von Juni 1944 bis zum Kriegsende musste er Zwangsarbeit leisten. Offensichtlich war die Wohnung von Familie Goldstein nicht von den Einweisungen durch die Wohnungsberatungsstelle der Jüdischen Gemeinde Berlin betroffen.

Wohnung Glockmann

Auch die Wohnung von Kurt und Marga Glockmann war keine Zwangswohnung. Die Ehe der beiden galt als eine sogenannte „Mischehe“: Kurt Glockmann war nicht jüdisch, während seine Frau Marga Glockmann jüdisch war. Ihr gemeinsamer Sohn Hans Peter Glockmann galt daher als „Mischling 1. Grades“. Marga Glockmann arbeitete von 1936 bis 1940 in der Personalabteilung der Reichsvereinigung der Juden. Auch danach arbeitete sie dort weiterhin ehrenamtlich. Als die Deportationen im Herbst 1942 in ganz Berlin, aber auch im Haus, deutlich zunahmen, zog die Familie in ihr Wochenendhäuschen in Falkensee. Die Winter dort waren schwer, da das Haus nicht beheizbar war. Zusammen mit den psychischen Belastungen der vorangegangenen Jahre führte dies bei Marga Glockmann zu körperlichen und psychischen Krankheiten, auch über 1945 hinaus.

Nachbarschaft

Die ehemalige Bewohnerin Marga Glockmann berichtete später, dass es schon im Sommer 1934 Haussuchungen in der Mommsenstraße 42 gegeben hatte. Auch über die Folgejahre berichtete sie:

„Da unser Haus von mehreren jüdischen Familien bewohnt war, ging die Gestapo aus und ein.“
Marga Glockmann: Bericht zur Schadens-Anmeldung 26. November 1954, LABO Berlin, BEG-Akte, Reg. Nr. 2.920

Was das mit den jüdischen Bewohner:innen im Haus machte, beschrieb Inge Borck:

„Die Bewohner in den Judenhäusern pflegten, weil sie so eng wie in einem Ghetto miteinander wohnten, untereinander eine intensive Kommunikation. Sie hatten gemeinsam das Gefühl, dass sie bedroht sind und, dass sie versuchen sollten, aus der Bedrohung herauszukommen, sich durch Auswanderung zu retten.“
Inge Borck: Ich war nie weg, in: Ulrich Eckehardt/Andreas Nachama (Hg.): Jüdische Berliner. Leben nach der Schoa, Berlin 2003, S. 41–46.

Damit hatte Inge Borck wahrscheinlich nicht nur die Mommsenstraße 42 im Sinn, sondern dachte auch an die vielen jüdischen Bewohner:innen der anderen Häuser in der Mommsenstraße und den umliegenden Straßen.

Autorin

Johanna A. Kühne

In Gedenken an die jüdischen Bewohner:innen der Mommsenstraße 42

Leo Anker

4.3.1883 in Wormditt
Deportation am 12.1.1943 nach Auschwitz, ermordet

Selma Anker, geb. Wachsner

17.6.1886 in Mikołów
Deportation am 12.1.1943 nach Auschwitz, ermordet

Rosalie Aron

12.5.1860 in Posen (Poznań)
Verstorben am 8.11.1939 in Berlin

Ellen Ruth Bachenheimer

24.8.1930 in Berlin
Deportation am 30.6.1943 ins Ghetto Theresienstadt, weiter am 9.10.1944 nach Auschwitz, ermordet

Herta Bachenheimer, geb. Kochmann

23.7.1897 in Schrimm (Śrem)
Deportation am 30.6.1943 ins Ghetto Theresienstadt, weiter am 9.10.1944 nach Auschwitz, ermordet

Käthe Becker

13.5.1890 in Wollstein (Wolsztyn)
Deportation am 12.2.1943 nach Auschwitz, ermordet

Helene Birnbaum

16.10.1878 in Schrimm (Śrem)
Flucht im Mai 1938 nach Palästina

Hertha Birnbaum

6.1.1899 in Schrimm (Śrem)
Deportation am 27.11.1941 nach Riga, dort umgekommen

Inge Borck, geb. David

5.11.1922 in Berlin
Überlebte versteckt in Berlin

Ernestine Daniel, geb. Fischer

10.8.1876 in Kirchwalde (Kudoba)
Deportation am 9.7.1942 ins Vernichtungslager Treblinka, ermordet

Martin David

8.5.1892 in Hohensalza (Inowrocław)
Deportation am 4.8.1943 nach Auschwitz, ermordet

Paula David, geb. Feder

30.10.1894 in Bromberg (Bydgoszcz)
Deportation am 4.8.1943 nach Auschwitz, ermordet

Rosa Feder

15.5.1885 in Lissa (Leszno)
Deportation am 28.3.1942 ins Ghetto Piaski, dort umgekommen

Doris Fromm

19.2.1874 in Posen (Poznań)
Deportation am 19.4.1943 ins Ghetto Theresienstadt, umgekommen am 11.12.1943

Erna Gellert, geb. Kosse

22.8.1889 in Berlin
Deportation am 29.7.1942 ins Ghetto Theresienstadt, weiter am 16.5.1944 nach Auschwitz, ermordet

Irmgard Gellert

25.12.1907 in Berlin
Deportation am 12.2.1943 nach Auschwitz, ermordet

Philipp Gellert

13.8.1867 in Berlin
Inhaftierung am 12.7.1941 im KZ Sachsenhausen, Deportation am 29.7.1942 ins Ghetto Theresienstadt, dort umgekommen

Hans Peter Glockmann

18.9.1923 in Berlin
Galt als „Mischling 1. Grades“, wurde nicht deportiert
Überlebte in Berlin

Marga Glockmann, geb. Neumann

4.3.1893 in Berlin
Verheiratet mit einem Nichtjuden
Überlebte in Berlin

Frieda Goldstein, geb. Lande

7.11.1887 in Berlin
Galt als „Mischling 1. Grades“, wurde nicht deportiert
Überlebte in Berlin

Klaus Goldstein

30.11.1914 in Berlin
Galt als „Mischling 1. Grades“, wurde nicht deportiert
Überlebte in Berlin

Lisa Goldstein

15.11.1917 in Berlin
Galt als „Mischling 1. Grades“, wurde nicht deportiert
Überlebte in Berlin

Dr. Rudolf Goldstein

1.8.1885 in Stargard
Galt als „Mischling 1. Grades“, wurde nicht deportiert
Überlebte in Berlin

Loni Hagelberg, geb. Goldstein

14.2.1922 in Berlin
Galt als „Mischling 1. Grades“, wurde nicht deportiert
Überlebte in Berlin

Samuel Kappler

19.5.1893 in Berlin
Verstorben am 11.4.1941 in Berlin

Hedwig Kochmann, geb. Fromm

29.6.1871 in Posen (Poznań)
Deportation am 13.1.1943 ins Ghetto Theresienstadt, umgekommen am 4.5.1944

Philipp Kochmann

25.1.1863 in Schokken (Skoki)
Verstorben am 24.10.1942 in Berlin

Adolf Kuznitzky

2.12.1901 in Berlin
Deportation am 12.1.1943 nach Auschwitz, ermordet

Klara Leyens, geb. Heller

23.11.1876 in Forchheim
Deportation am 13.6.1942 ins Vernichtungslager Sobibor, ermordet

Mirel Liebe

23.5.1912 in Wilna (Wilno)
Deportation am 21.1.1944 ins Ghetto Theresienstadt, am 15.5.1944 nach Auschwitz, ermordet

Gerda Löwenstein, geb. Vandewart

12.6.1904 in Unterriedenberg
Flucht in die USA vor 1939
Überlebte

Adele Philipps, geb. Carsch

27.12.1881 in Mühlheim an der Ruhr
Deportation am 11.7.1942 nach Auschwitz, ermordet

Sally Philipps

18.3.1878 in Mühlheim an der Ruhr
Deportation am 11.7.1942 nach Auschwitz, ermordet

Anna Pindikowski

12.06.1880 in Preußisch Eylau
Verstorben am 14.11.1941 in Berlin

Helene Pindikowski

28.11.1917 in Königsberg (Kaliningrad)
Deportation am 12.1.1943 nach Auschwitz, ermordet

Else Schuster, geb. Bab

20.5.1887 in Merseritz
Deportation am 3.3.1943 nach Auschwitz, ermordet

Max Schuster

3.2.1885 in Konitz (Chojnice)
Deportation am 3.3.1943 nach Auschwitz, ermordet

Regine Vandewart, geb. Michalowski

1.7.1879 in Oberriedenberg
Deportation am 28.3.1942 ins Ghetto Piaski, dort umgekommen

Theodor Vandewart

14.11.1878 in Hofheim in Mainfranken
Deportation am 28.3.1942 ins Ghetto Piaski, dort umgekommen

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