Zwangsräume
Antisemitische Wohnungspolitik in Berlin 1939–1945
Online-Ausstellung ab
16.10.2023
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Das Grundstück liegt fast an der Ecke zur Yorckstraße. Sein Eigentümer, der Maurer- und Zimmermeister Paul Opitz, nutzte es zunächst nur als Lagerplatz für Baustoffe. 1881 bebaute er die Fläche mit einem fünfstöckigen Mietshaus mit einem Seitenflügel. Im gleichen Jahr wurde auch begonnen, den Vorgarten anzulegen. Er ist heute ein Gartendenkmal. Die Wohnungen müssen groß gewesen sein, denn es gab nur relativ wenige Mieter:innen. Die meisten waren Kaufleute und Handwerker.
1888 kaufte der Arzt Dr. Paul Mannheim das Haus und richtete dort seine Praxis ein. Die Hausbewohner:innen waren nun andere: Lehrer, Kunsthändler, ein Kapellmeister, ein Apotheker. 1929 starb Dr. Paul Mannheim. Seine Ehefrau Margarete Mannheim modernisierte das Haus in den folgenden Jahren. Sie ließ Bäder und einen Aufzug einbauen. Als die großen Wohnungen Mitte der 1930er Jahre geteilt wurden, stieg die Anzahl der Mieter:innen. Ab 1939 zogen die vielen Untermieter:innen ein, die hier meist nur kurze Zeit bis zu ihrer Deportation lebten. Die Hauseigentümerin Margarete Mannheim beging am 2. September 1942 in ihrer Wohnung Suizid. Drei Monate später ging das Haus in den Besitz des Deutschen Reichs über.
Johanna und Wanda Elkeles wohnten mit ihrem Bruder Georg Elkeles seit den späten 1930er Jahren im ersten Obergeschoss des Hauses. Seit dem Beginn der nationalsozialistischen Diktatur hatten die unverheirateten Geschwister zusammen in der Yorckstraße 81 gewohnt. Die Familie stammte aus Posen. Georg Elkeles war Kaufmann und hatte dort für einige Jahre die Firma des Vaters geführt, bis er nach Berlin ging. Er starb im Dezember 1940. Welchen Beruf Johanna und Wanda Elkeles hatten, ist nicht bekannt.
Seit März 1941 wohnte das Ehepaar Max und Agnes Löwenthal zur Untermiete bei den Geschwistern Elkeles. Beide stammten aus Kaufmannsfamilien in Pommern, wo sie 1890 geheiratet hatten. In den 1910er Jahren war das Paar mit seinen zwei Söhnen und der Tochter nach Berlin übergesiedelt. Zu Beginn der 1930er Jahre waren sie an das Planufer 31 in Kreuzberg, heute Carl-Herz-Ufer 31, gezogen. In dem Haus am Landwehrkanal blieben sie zu ihrem Umzug in die Hornstraße. Max Löwenthal starb am 20. Juli 1942 im Jüdischen Krankenhaus an den Folgen eines Schlaganfalls. Es ist ungewiss, ob er durch einen Selbstmordversuch ausgelöst wurde. Agnes Löwenthal wurde am 31. August 1942 in das Ghetto Theresienstadt deportiert und kam dort am 20. September 1942 um. Heute erinnern zwei Stolpersteine an sie: einer in der Hornstraße 23 und einer am Carl-Herz-Ufer 31. Von den drei Kindern der Löwenthals überlebte nur Arthur Löwenthal. Ihm gelang es, mit seiner Ehefrau und den Kindern nach Palästina auszuwandern. Dort lebte er bis zu seinem Tod im Jahr 1983.
Auch die Witwe Lucie Machol, geb. Feige, wohnte seit etwa Mitte 1939 zur Untermiete in der Wohnung. Sie stammte aus einer Familie von Kaufleuten in Oberschlesien. Ihr Mann, der Kaufmann Hermann Machol, starb 1908, im Jahr nach der Geburt des gemeinsamen Sohnes Max. Max Machol wurde Fotograf. Anfang 1939 heiratete er die Fotografin Hildegard Moses, deren Mutter Siddy Moses ein Haus in der Skalitzer Straße 20 gehörte. Das junge Paar lebte bei Lucie Machol in einer großzügigen Wohnung in der Niebuhrstraße 1 in Charlottenburg, bis es am 5. Mai 1939 nach Ecuador auswanderte und dort ein Fotostudio eröffnete.
Später gingen Max und Hildegard Machol in die USA. Lucie Machol zog nach der Auswanderung ihres Sohnes in die Hornstraße 23. Am 12. März 1943 wurde sie nach Auschwitz deportiert und ermordet. Die Hauptmieter:innen der Wohnung, die Schwestern Johanna und Wanda Elkeles, waren bereits am 9. Dezember 1942 nach Auschwitz verschleppt worden. Sie wurden beide ermordet.
Der Kellner Arthur Lohde zog mit seiner nichtjüdischen Ehefrau Anna zu Beginn der nationalsozialistischen Diktatur als Hauptmieter in die Hornstraße 23. Zuvor hatte das Paar, das im Dezember 1924 geheiratet hatte, in der Gleditschstraße in Schöneberg gelebt. Im Konzentrationslager gab Arthur Lohde an, dass er und seine Frau Anna ein gemeinsames Kind haben. Dazu ließen sich leider keine weiteren Angaben finden. 1939 verhaftete die Geheime Staatspolizei (Gestapo) Arthur Lohde in Aachen. Wahrscheinlich war er auf dem Weg zu seinen Schwestern, die nach Amsterdam geflohen waren. Anfang Juni 1939 wurde Arthur Lohde in das KZ Dachau eingeliefert. Hier blieb er nur kurze Zeit. Am 27. September 1939 wurde er in das KZ Buchenwald überstellt. Er kam in den Judenblock 22, dessen Insassen die härtesten Arbeiten erledigen mussten und besonderen Schikanen ausgesetzt waren. Arthur Lohde überlebte nur ein knappes Jahr. Seine Witwe Anna Lohde lebte weiter in der Hornstraße 23. Sie starb am 5. März 1973 in Steglitz.
Sophie Rubiner wohnte im ersten Obergeschoss des Hauses. Wann genau sie in die Hornstraße einziehen musste, ist unbekannt. Ihre Familie stammte ursprünglich aus Galizien. Im Wiener Adressbuch von 1908 ist Sophie Rubiner als städtische Lehrerin aufgeführt. Als sie nach Berlin kam lebte sie bei Verwandten. Zur Volkszählung im Mai 1939 wohnte sie in der Lankwitzstraße 5 (heute Ruhlsdorfer Straße) in Kreuzberg bei Betty Rubiner, der Witwe des 1925 verstorbenen Schriftstellers und Journalisten Wilhelm Rubiner. Sophie Rubiner wurde am 27. November 1941 nach Riga deportiert und drei Tage nach ihrer Ankunft im Wald von Rumbula erschossen.
Im zweiten Obergeschoss lebte die Witwe Margarete Valeska Mannheim, geb. Lubarsch. Sie war die Eigentümerin des Mietshauses Hornstraße 23, das sie 1929 von ihrem Ehemann, dem Arzt Dr. Paul Mannheim, geerbt hatte. Offenbar hatte das Paar keine Kinder. Ab 1939 musste Margarete Mannheim jüdische Untermieter:innen aufnehmen, darunter die Witwe Lucie Silbermann und ihre unverheiratete Tochter Flora Silbermann. Sie waren Anfang der 1930er Jahre als Hauptmieterinnen in die Hornstraße 23 gezogen. 1940 wohnten sie als Untermieterinnen bei Margarete Mannheim.
Lucie Silbermann, geb. Treumann, stammte aus Oberschlesien und war mit ihrem Ehemann, dem Kaufmann Robert Silbermann, und ihrer Tochter vor dem Ersten Weltkrieg nach Berlin gekommen. Flora Silbermann war Näherin. Als sie im Dezember 1940 den Tod von Georg Elkeles aus dem ersten Obergeschoss anzeigte, wird als ihr Beruf „Hausgehilfin“ vermerkt. Danach verliert sich die Spur der beiden Frauen: Lucie und Flora Silbermann tauchten unter. Beide überlebten.
Mitte 1941 zog Rosa Maas, geb. Silbermann, als Untermieterin in die Wohnung. Sie war bereits seit 1901 verwitwet und hatte zuvor in der Nürnberger Straße 13 in Charlottenburg gelebt – anfangs allein, später mit ihrem seit 1927 verheirateten Sohn Hermann und dessen nichtjüdischer Ehefrau. Rosa Maas wurde am 8. September 1942 in das Ghetto Theresienstadt deportiert. Sie überlebte: Anfang Mai 1945 wurde das Ghetto durch die sowjetische Armee befreit. Sie ging zurück nach Berlin und starb 1954 im Sankt Gertrauden-Krankenhaus. Auch ihre Tochter Elsa Kornik und ihr Sohn Hermann Maas überlebten.
Auch Bela Ella Rosenberg, geb. Einnehmer, und ihre Tochter Bela bewohnten ein möbliertes Zimmer bei Margarete Mannheim. Wann genau sie einzogen, ist nicht bekannt. Ende der 1930er Jahre wohnten sie noch in der Saarlandstraße 10 (heute Stresemannstraße). Dort wohnte um 1940 auch ein Angestellter namens Otto Rosenberg. Wer er war – Ehemann und Vater oder Bruder –, konnte bisher nicht ermittelt werden. Bela Ella Rosenberg war wie ihre Tochter staatenlos und Besitzerin eines Fremdenpasses. Bela Rosenberg war unverheiratet und von Beruf Sekretärin. Sie musste bei der Firma Werner Pause & Co. in der Wallstraße 11/12 in Berlin-Mitte Zwangsarbeit leisten. Die Firma stellte Damenhüte her. Bela Ella Rosenberg wurde am 3. Oktober 1942 in das Ghetto Theresienstadt verschleppt und kam dort bereits sechs Tage später um. Ihre Tochter wurde am 23. Januar 1943 nach Auschwitz deportiert und ermordet.
Einen Monat vor der Deportation von Bela Rosenberg war das Haus in der Hornstraße 23 durch den Oberfinanzpräsidenten zu Gunsten des Deutschen Reichs eingezogen worden. Seine Eigentümerin und die Hauptmieterin der Wohnung, Margarete Mannheim, hatte sich am 2. September 1942 mit einer Überdosis des Schlafmittels Veronal das Leben genommen.
Wann die drei Schwestern Jenny Stein, geb. Arnhelm, und Charlotte und Gertrud Arnhelm in die Hornstraße 23 einzogen, ist nicht bekannt. Im Berliner Adressbuch von 1942 ist als Wohnort von Charlotte und Gertrud Arnhelm noch die elterliche Wohnung in der Wartenburgstraße 3 vermerkt. Erst danach zogen sie gemeinsam mit ihrer verwitweten Schwester Jenny Stein in das Haus Hornstraße 23. Wo und wie sie hier lebten, ist ebenfalls unklar. Einige Hinweise deuten darauf hin, dass sich die Schwestern eine 1-Zimmer-Wohnung teilten. Die Transportliste zu Jenny Steins Deportation legt dagegen nahe, dass sie bei Margarete Mannheim zur Untermiete lebte. Die Schwestern waren mit ihren Eltern und drei weiteren Geschwistern kurz vor dem Ersten Weltkrieg aus Pommern nach Berlin gekommen. Charlotte und Gertrud Arnhelm mussten Zwangsarbeit bei Siemens leisten. Alle drei Schwestern wurden im Rahmen der „Fabrik-Aktion“ festgenommen und am 1. März 1943 nach Auschwitz verschleppt. Sie kehrten nicht zurück. Heute erinnern drei Stolpersteine in der Hornstraße an Charlotte Arnhelm, Gertrud Arnhelm und Jenny Stein.
Wann und wo Minna Klein, geb. Jacobsohn, in der Hornstraße 23 wohnte, ist nicht bekannt. Sie stammte aus Westpreußen und hatte 1904 in Berlin den Goldschmied Hersch (später: Hermann) Klein geheiratet. Er hatte einige Jahre vor Beginn des Ersten Weltkriegs ein Juweliergeschäft in der Friedrichstraße 43 eröffnet – dort, wo heute das Museum Haus am Checkpoint Charlie steht. Nach dem Tod ihres Mannes 1925 führte Minna Klein das Geschäft weiter. Zeitweise besaß sie auch eine Wäschehandlung. Erst Ende der 1930er Jahre taucht sie im Berliner Adressbuch als Rentnerin auf. Minna Klein wohnte in der Hornstraße 10 und in der Kyffhäuserstraße 1 in Schöneberg. In der Hornstraße 23 kann sie nur sehr kurze Zeit gelebt haben. Am 14. September 1942 wurde Minna Klein in das Ghetto Theresienstadt deportiert. Sie überlebte und wanderte nach 1945 nach Brasilien aus.
Die Schwestern Meta und Margarete Zamory lebten zum Zeitpunkt der Volkszählung im Mai 1939 noch in der Pücklerstraße 17 in Kreuzberg. Kurze Zeit später müssen sie in die Hornstraße 23 gezogen sein – im Berliner Adressbuch von 1941 waren sie dort Mieterinnen. Meta und Margarete Zamory waren mit ihren Eltern und zwei weiteren Geschwistern Anfang der 1890er Jahre von der Insel Usedom nach Berlin übersiedelt. Beide Schwestern ergriffen den Beruf der Buchhalterin. Am 28. März 1942 wurden Meta und Margarete Zamory in das Ghetto Piaski in Ostpolen deportiert. Es war eines der „Transitghettos“: Wer dort nicht umkam, wurde in einem Vernichtungslager ermordet. Beide Frauen starben im Ghetto. Seit 2016 erinnern in der Pücklerstraße 17 zwei Stolpersteine an die Schwestern.
In der benachbarten Hornstraße 3 wohnte die Studentin und Widerstandskämpferin Ursula Goetze, die 1943 im Strafgefängnis Plötzensee hingerichtet wurde. Am Haus erinnert eine künstlerisch gestaltete Tafel an die junge Frau.
Dietlinde Peters
21.12.1892 in Bad Polzin (Połczyn-Zdrój)
Deportation am 1.3.1943 nach Auschwitz, ermordet
1.8.1898 in Bad Polzin (Połczyn-Zdrój)
Deportation am 1.3.1943 nach Auschwitz, ermordet
21.10.1888 in Bad Polzin (Połczyn-Zdrój)
Deportation am 1.3.1943 nach Auschwitz, ermordet
8.2.1887 in Posen (Poznań)
Deportation am 9.12.1942 nach Auschwitz, ermordet
15.3.1889 in Posen (Poznań)
Deportation am 9.12.1942 nach Auschwitz, ermordet
13.11.1874 in Lautenburg (Lidzbark)
Deportation am 14.9.1942 ins Ghetto Theresienstadt, überlebte
13.6.1901 in Berlin
Inhaftierung im KZ Dachau und im KZ Buchenwald, ermordet am 17.7.1940
21.6.1866 in Kallies (Kalisz Pomorski)
Deportation am 31.8.1942 ins Ghetto Theresienstadt, umgekommen am 20.9.1942
16.11.1867 in Bamberg
Deportation am 8.9.1942 ins Ghetto Theresienstadt, überlebte
12.11.1875 in Kattowitz (Katowice)
Deportation am 12.3.1943 nach Auschwitz, ermordet
11.2.1864 in Berlin
Suizid am 2.9.1942
13.4.1871 in Kalisch (Kalisz)
Deportation am 3.10.1942 ins Ghetto Theresienstadt, umgekommen am 9.10.1942
29.12.1892 in Berlin
Deportation am 23.1.1943 nach Auschwitz, ermordet
26.8.1882 in Wien
Deportation am 27.11.1941 nach Riga, erschossen am 30.11.1941 im Wald von Rumbula
15.2.1906 Lublinitz (Lubliniec)
Überlebte im Versteck
7.7.1885 in Kutno
Überlebte im Versteck
27.5.1880 auf Usedom
Deportation am 28.3.1942 ins Ghetto Piaski, ermordet
30.8.1877 auf Usedom
Deportation am 28.3.1942 ins Ghetto Piaski, ermordet
Online-Ausstellung ab
16.10.